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Alternativen zu Gentoo

Gentoo Linux

Am 26.01.2005 habe ich mich im Forum von Gentoo Linux angemeldet. Spätestens seit diesem Zeitpunkt bin ich ausschließlicher Linux-User (abgesehen von Fällen, wo man nicht um Windows herumkommt, etwa in der Arbeit oder zum Bauen der Windows-Version des Muckturnier-Programms).

Für alle, die es nicht kennen: Gentoo Linux hat eine gewisse Sonderstellung unter den Distributionen. Hier baut man (bis auf wenige Ausnahmen) alle Software, die man benutzt, selbst aus den Quelltexten. Man fängt nicht ganz bei Null an, aber mit wenig. Man baut sich sein ganzes System selbst, und hat volle Kontrolle – zu dem Preis, dass man sich vergleichsweise gut auskennen muss.

Das hatte damals einen sehr großen Reiz. Abgesehen vom unabstreitbaren „Geek-Faktor“ kann man alle Software auf die CPU und Maschine optimieren, auf der sie läuft; inwiefern das heutzutage noch sinnvoll oder nötig ist, oder einen fühlbaren Unterschied macht, sei dahingestellt. Was aber zweifelsohne auch heute spitze ist: Bedingt durch das USE-Flag-System kann man Software ganz nach den persönlichen Bedürfnissen bauen, und so auch Abhängigkeiten aussparen oder spezielle Funktionalität einbinden. Das kann keine Binärdistribution.

Gentoo ist echt cool. Ich habe es auch nach wie vor auf meinem Desktop-Rechner (was will ich auch sonst mit den 6 Kernen und 12 Threads meines Ryzen 5 3600 und den 32 GB RAM?!). Ich habe die Distribution über die Jahre wirklich lieben gelernt (manchmal war es wohl eher auch Hassliebe ;-), und die Community ist sehr freundlich und kompetent. Der Nerd-Anteil ist hoch, und der n00b-Anteil klein. Also gibt es wenig dumme Fragen, und wenig dumme Antworten.

Gentoo muss man wollen

Ich habe als IT-Beauftragter meiner Familie natürlich nicht nur auf meinem Desktop Gentoo installiert, sondern überall. Es war bis vor Kurzem auch auf dem Rechner meiner Frau, meiner Eltern, dem Wohnzimmer-Computer, meinem Raspberry Pi, meinem Notebook, dem alten Notebook meiner Frau und auf meinem ganz alten Netbook (ich habe tatsächlich einen noch funktionierenden Asus EEE PC 1000H) – und auf meinem kleinen Server, einem APU2-Board. Und die alle aktuell zu halten war immer recht zeitaufwändig (schließlich baut man ja alles aus den Quellen und installiert nicht einfach Binärpakete).

In den letzten Jahren ist es mühsam geworden. In Zeiten, wo HTML-Rendering-Engines komplexer als Betriebssysteme sind, und aus zehntausenden Quelltext-Dateien mit Millionen von Zeilen bestehen, sprechen wir z. B. bei einem Update, das die QtWebEngine und/oder NodeJS beinhaltet, nicht mehr von Stunden, die es dauert – wir sprechen von Tagen. Tage, in denen so ein Rechner mitunter nur eingeschränkt oder gar nicht nutzbar ist.

Lange ging es ganz gut, indem man distcc nutzte. Aber der Kompilieraufwand wurde größer und größer und ging mitunter so weit, dass manche Pakete auf alten Rechnern schlicht gar nicht mehr zu bauen waren – wegen zu wenig RAM und/oder zu wenig Platz auf der Festplatte.

An einem gewissen Punkt hat es mir einfach keinen Spaß mehr gemacht, tagelang in fünf oder sechs screen-Sessions emerge beim Arbeiten zuzuschauen. Den gcc auf einem Raspberry Pi 1 zu bauen nervt einfach nur noch.

Was kann man nehmen?

Das war die große Frage. Ernsthaft und dauerhaft hatte ich nur Gentoo benutzt. Keine der anderen großen Distributionen. Aber bedingt dadurch, dass ich seit einiger Zeit – mehr oder weniger notgedrungen – auf meinen Servern bei Hetzner „Feindkontakt“ mit Ubuntu habe, war mir eines klar: Kein Systemd. Nein. Warum Systemd eine Ausgeburt der Hölle ist, kann jeder im Internet nachlesen. Welcher Teufel die meisten großen Distributionen geritten hat, ihr Init-System auf Systemd umzustellen, ist mir nach wie vor schleierhaft. Von meiner Seite nur so viel: Was hat sich ein Init-System um DNS-Auflösung zu kümmern? Was sollen irgendwelche Timer, die mit Cronjobs konkurrieren? Was sollen irgendwelche binären(!) Logs, die mit Syslog konkurrieren?! Diese ganze Systemd-Sache ist einfach nur fürchterlich.

Was dazu führt, dass die Auswahl klein wird. Aber es gab (und gibt) Hoffnung: Nach einiger Recherche konnte ich drei potenzielle Aspiranten ausmachen, die da wären:

Getestet habe ich zunächst einmal in einer virtuellen Maschine in QEMU.

Void Linux

Void Linux nutzt als Init-System runit. Es ließ sich sehr problemlos installieren, wenngleich man doch einiges dafür wissen muss (einen Installer gibt es, wie bei Gentoo, nicht). Aber wenn man von Gentoo kommt, dann ist man ja Kummer gewöhnt ;-) Alles in allem war der Eindruck nicht schlecht, aber für den Einsatz auf einem Endbenutzer-Bürorechner wie dem von meinen Eltern oder dem von meiner Frau war mir Void Linux dann doch ein bisschen zu „exotisch“.

Im Auge behalten sollte man die Distribution aber auf jeden Fall. Allein schon deswegen, weil sie kein Fork ist, und der Ansatz neu und frei von Altlasten daherkommt.

Devuan

Bei Devuan kann man aus mehreren Init-Systemen wählen: Dem traditionellen sysvinit, runit und Gentoos OpenRC. Als Gentoo-User nimmt man natürlich OpenRC.

Die Installation geht von selbst. Live-Medium booten, ein paar Auswahlen im Installer treffen. Kurz darauf hat man ein komplettes Desktop-System.

Das ist allerdings auch genau der Punkt, der mich immer gestört hat an all den Distributionen, die ich vor Gentoo ausprobiert habe: Man hat ein komplettes System. Und einen ganzen Haufen Kram, den man nicht braucht. Und als allererstes muss man sein System ausmisten nach der Installation.

Aber es läuft. Sieht etwas anders aus als Gentoo (es kommen sysvinit-Init-Scripts zum Einsatz, keine OpenRC-spezifischen), aber es geht. Das meiste Know-How, Wikis, Foren-Einträge etc. kann man direkt von Debian übernehmen. Wie gesagt: Läuft.

Artix Linux

Bei Artix Linux läuft die Installation im Prinzip wie bei Void Linux oder auch Gentoo, mit Konsolen-Tools und ohne Installer. Als Gentoo-User fühlt man sich hier gleich ziemlich zu Hause. Und wenn man OpenRC nutzt (auch hier gibt es verschiedene Init-Systeme zur Auswahl, u. A. auch OpenRC), dann sieht Artix genauso wie Gentoo aus (bei jedem Paket mit einem Init-Script wird ein zusätzliches mit dem eigentlichen Init-Script installiert, das zum Init-System passt).

Das Konzept der Installation ist das selbe wie bei Gentoo: Man startet mit einem Minimalsystem, und installiert, was man braucht. Natürlich kann man nicht optimieren (was sich aufgrund der heutzutage sehr leistungsfähigen Rechner aber auch irgendwo relativiert), und man kann aufgrund der Binärpakete auch keine Abhängigkeiten „einsparen“. Aber man hat volle Kontrolle. Artix ist wie Gentoo eine „Rolling Release“-Distribution, es gibt also keine Versionen, sondern die Pakete werden fortlaufend aktualisiert. Das hat zur Folge, dass bei jedem Update vergleichsweise viele Pakete aktualisiert werden müssen (bei Gentoo kann man ja Pakete einfach neu bauen, bei Binärpaketen muss man bei allen Abhängigkeiten ran). Aber die sind schnell installiert.

Alles in allem ist Artix Linux spitze. Im Grunde fühlt es sich so an wie Gentoo mit Binärpaketen. Selber Software bauen ist kein Problem, und auch eigene Pakete bauen ist erfreulich einfach. Und: Updates dauern Minuten. Nicht Stunden, und auch nicht Tage. Sondern Minuten. Die Paketauswahl ist zwar deutlich geringer als bei Gentoo, aber man findet, was man braucht (und kann ja auch notfalls selbst bauen). Nicht nur daran merkt man, dass Artix eine noch recht junge Distribution ist: Auch fehlt z. B. ein zentraler Bugtracker. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Die Mischung macht’s

Der Stand der Dinge ist Stand jetzt folgender:

Unterm Strich sollte man sich also einfach die passende Distribution für den passenden Einsatzzweck suchen. Gentoo ist nach wie vor super, aber mit Artix Linux und Devuan haben wir, wo es passt, gangbare Alternativen – ohne bei dem Systemd-Wahnsinn mitmachen zu müssen. Bleibt zu hoffen, dass diese Distribution (weiterhin) den Erfolg haben werden, den sie verdienen.